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                                    Not st%u00f6rt und zwingt zugleich zu einer Solidarit%u00e4t, die noch keinen Namen hat und, wie zu bef%u00fcrchten ist,auch keine Chance. Sie k%u00f6nnte die Herausforderung des neuen Jahrhunderts sein %u2013 eine grunds%u00e4tzlicheBew%u00e4hrungsprobe unserer Zivilisation und ihres globalen Auftrags gegen Willk%u00fcr und Not in der Welt.Sp%u00e4testens hier hat Kirchner seine regionale Bindung %u00fcberwunden. Der Verlust der Heimat im Banat erf%u00e4hrt, ins Globale gesteigert, eine gr%u00f6%u00dfere Verantwortlichkeit, die weder aufschiebbar noch auf andereabzulasten ist. Es geht in seinem Sp%u00e4twerk nicht um das Herausfiltern von Schuldfragen, sondern um dasErkennen eines heraufd%u00e4mmernden Notstands, der nicht kleinr%u00e4umig aufzuhalten oder auszur%u00e4umenm%u00f6glich sein wird. Es mag nicht eine Aufgabe der Kunst sein, L%u00f6sungen zur Verhinderung gesellschaftlicherNotlagen zu finden. Sie zeigt indessen wie es ist, und darf dabei durchaus auch parteiisch sein. Nur wegsehen sollte sie nicht wollen oder gar m%u00fcssen. Kirchner, im Machtbereich des rum%u00e4nischen Diktators Ce,ausescu aufgewachsen, ist es so unbekannt nicht, wie die Kunst politisch instrumentalisiert werden kannund sich dabei selbst preisgibt. Im Westen ist es zwar nicht die Partei, aber weitgehend der Markt, der bestimmt, was zur Zeit gerade Kunst ist. Der Markt ist offen f%u00fcr nahezu alle und alles und regelt weitgehenddas Wechselspiel zwischen Angebot und Nachfrage. Er ist, launisch und verhandelbar, ein philosophischerBastard mit eigener Gesetzlichkeit. Seine Freiheit setzt immerhin auch die Freiheit des Anderen voraus.Sie bindet aber verpflichtet nicht, und so ist der Markt immer auch an der Nahtstelle des Gegens%u00e4tzlichenzu finden.Dort k%u00f6nnte auch Kirchners malerisches Werk anzusiedeln sein, obwohl es eher intuitiv angelegt ist alsprogrammatisch zugeordnet. Es ist die dr%u00e4ngende Unbedingtheit des gestalterischen Willens, die densch%u00f6pferischen Moment bestimmt und einen Aufschub der Ausf%u00fchrung nicht zul%u00e4sst, und es sind die unbew%u00e4ltigten N%u00f6te und Verwirrungen des Allt%u00e4glichen, die dazu herausfordern. Fernab geblieben sinddie zur b%u00e4uerlichen Selbstfindung ausgekl%u00fcgelten zaghaften Weisheiten der fr%u00fchen Holzschnitte, ausgebleicht die klugen Allegorien im wechselnden Spot kleiner Verhei%u00dfungen. Der K%u00fcnstler findet an der Na,gold nicht zu einer neuen Behaglichkeit, und er ist nicht auf der Suche nach einer solchen. Sein Zeitalter istohne Ma%u00df und ohne G%u00f6tter und zunehmend in Frage gestellt von der Freisetzung unkontrollierbarer Gewalten. Dem selbstdiktierten Fortschritt verschrieben, ist indessen kaum etwas zu bef%u00fcrchten, was unswieder gef%u00fcgig zu machen in der Lage sein k%u00f6nnte.Dennoch l%u00e4sst der K%u00fcnstler in seinen sozialkritischen Darstellungen von Welt und Umwelt keine Z%u00f6gerlichkeit aufkommen. Es ist nicht eine Zeit der Aufsch%u00fcbe, die er vorfindet, und so ist sein Gesamtwerkunverkennbar gegen Gleichg%u00fcltigkeit und Verharmlosung gerichtet. Er polarisiert nicht in der Zuschrei,bung hausgemachter Missst%u00e4nde %u2013 gemeint sind wir alle. Ein Umdenken wird angemahnt, wobei er sichnicht als Vorreiter sehen will, wohl aber als Betroffener und potentieller Mitverursacher. Sein Ansinnen istnicht das eines sich vor dem Herrn selbst entlastenden Pharis%u00e4ers.Dennoch, oder gerade deswegen, werden seine vorwiegend gro%u00dfformatigen sozialkritischen Bilder wohlnur in Ausnahmef%u00e4llen ihren Platz im behaglichen gutb%u00fcrgerlichen Wohnzimmer finden. Sie nehmen indessen in den Ausstellungss%u00e4len, Katalogen und Zeitschriften am allgemeinen Dialog zu aktuellenKunst- und Zeitfragen teil %u2013 an dem, was uns gesellschaftlich bewegt und wach h%u00e4lt. Kirchners Kunst willmitverantwortlich sein f%u00fcr das Zeitbild, das wir gestalten und weiterreichen.Seine Kunst ist verk%u00e4uflich,aber nicht k%u00e4uflich. Walter Andreas Kirchner sieht sein k%u00fcnstlerisches Werk als lebensnahes Abbild seinerLebenszeit. Er malt was er sieht und nicht, was gelegentlich gew%u00fcnscht oder diktiert wird. Er zeigt uns wiewir nicht sein wollen, dramatisiert was wir klein zu reden uns bem%u00fchen, inszeniert die Verselbstst%u00e4ndigung
                                
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