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Die Welt mit achtzigDas Naheliegende ist uns fremd geworden.W. A. KirchnerNein, es ist kein abgekl%u00e4rter Lebensabschnitt, den der 1941 im rum%u00e4nischen Banat geborene Walter AndreasKirchner, in Pforzheim ans%u00e4ssig geworden, inzwischen erreicht hat. Mit der Lebenserfahrung eines Acht,zigj%u00e4hrigen ausgestattet, sieht er sich nicht einer gl%u00e4ttenden Altersweisheit unterworfen, nach der die M%u00fche%u2013 n%u00e4her besehen %u2013 ohnehin nicht lohnt. Sie geh%u00f6rt schlichtweg zur Existenz, und wer sie annimmt, w%u00e4chstan ihr. Denn das Leben ist weniger ein Geschenk als eine Bew%u00e4hrungsfrist.Es ist die muntere Nagold vor dem Haus in der Pforzheimer Friedenstra%u00dfe, das flie%u00dfende Wasser, das ihnsymbolhaft begleitet. Es ist immer gegenw%u00e4rtig und immer fl%u00fcchtig. Nicht das Ziel ist der Sinn, sonderndas Flie%u00dfen im Bewusstsein der Unersch%u00f6pflichkeit der Quelle %u2013 die Zuordnung des Vordergr%u00fcndigen inein wandlungsf%u00e4higes Weltbild. Der Maler wird hier zum Poeten, aber nicht zum Reimer. Achtzig ist nichtein Verdienst %u2013 es ist eine Gnade. Die Horizonte sind durchl%u00e4ssig und es ist vielleicht sonst nichts als die Demut, die in der Weite besteht. Was z%u00e4hlt, ist nicht der Rang, sondern das Werk, der Sinn und nichtdie Tat als solche. Der Welt n%u00fctzen die Helden weniger als die Pfl%u00fcger, die, ohne dekoriert zu werden, das Ihre tun %u2013 am Tagesgeschw%u00e4tz vorbei. Wo in dieser Abfolge h%u00e4tte die Kunst ihren %u201eangestammtenPlatz%u201c? Was sonst k%u00f6nnte ihr Auftrag sein, als das Hintergr%u00fcndige zu erkennen, den Kern auszusondernund anzumahnen. Das mag zum Schwierigsten geh%u00f6ren, was man sich selbst aufzulasten vermag. Dennwas gut ist an sich, ist so unbekannt nicht, nur dass es uns so recht nicht gelingen mag, es zwischen,menschlich umzusetzen. Was das Herz will, verhindert oft der Verstand %u2013 und umgekehrt.Hat nicht alles seinen Preis? Das Gesetz und die Freiheit, Gottesfurcht und H%u00e4resie, Treue und Verrat? Versagt die Kunst dort, wo sie dient? Oder ist sie nichts weiter als ein Standpunkt?F%u00fcr Kirchner ist sie ein Bekenntnis zur Existenz und zur Welt %u2013 jeweils eingegrenzt in einen bemessenenRaum und eine gegebene Zeit. F%u00fcr ihn ist das Zeitma%u00df relevant. Wo das %u00dcbersinnliche herein d%u00e4mmert,ordnet er es sich zu als unbew%u00e4ltigte Komponente. Es ist nicht sein Anliegen, alles zu entschl%u00fcsseln undauch darzustellen. Nicht jedes ist ergr%u00fcndbar und benennbar. Und nicht alles, was uns zug%u00e4nglich zu ma -chen gelungen ist, beherrschen wir. Es mag diese Spanne an Grenzwissen sein, die unsere latente %u00dcberheblichkeit z%u00fcgelt in der Einsicht, dass diese Spanne bleibend sein wird. Ist es ein Mangel oder sch%u00fctzt esuns vor einer sich bedrohlich abzeichnenden Gefahr der Selbstzerst%u00f6rung?Nein. Es geht kein Signal aus von den gesellschaftskritischen Kompositionen Kirchners. Er hat nicht einProgramm zur Hand %u2013 nur das Spiegelbild seiner Bildkunst Er ist politisch, aber seine kritische Darstellungder Gegenwart ist nicht auf der Suche nach neuen Propheten. Sie mahnt eine R%u00fcckbesinnung an auf dashumane Ma%u00df der Existenz, das nicht triumphal und zugleich gerecht sein kann. Der Stra%u00dfenprediger Jesusvon Nazareth mag uns dabei in den Sinn kommen, dem zu Ehren wir Dome errichtet und Kriege gef%u00fchrthaben, im groben Missverst%u00e4ndnis seiner Botschaft.Walter Andreas Kirchners Kunst %u2013 urspr%u00fcnglich aus einer zerst%u00f6rten regionalen Geborgenheit ausgehend%u2013 ist in gewisser Weise unterwegs geblieben. Es mag strittig sein, ob Kunst %u00fcberhaupt ankommen kann.Sie mag angenommen sein, bleibt aber ver%u00e4nderlich und will es sein. Wer wie Kirchner achtzig gewordenist und, wie er, zwei Diktaturen durchlitten hat, wird neuen Verhei%u00dfungen gegen%u00fcber z%u00f6gerlich geworden sein.